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Im Streit um zu wenig gezahlte Zinsen bei langfristigen Prämiensparverträgen hat der Bundesgerichtshof ein bemerkenswertes Urteil gefällt. Das Gericht gab der klagenden Verbraucherzentrale Sachsen recht, dass die Art und Weise der Zinsberechnung bei langlaufenden Sparverträgen der Stadt- und Kreissparkasse Leipzig in der Vergangenheit teils nicht zulässig war. Die Zinsen seien von dem Institut zu frei festgesetzt worden.
Der BGH stellte klar, dass die Klausel für Zinsanpassungen in dem Vertrag der Sparkasse unwirksam war, weil sie keinerlei Vorgaben enthielt und für den Sparer unkalkulierbar gewesen sei. (Aktenzeichen XI ZR 234/20). Die Verbraucherzentrale sprach von einem „Leiturteil für alle Prämiensparer“.
Allein zu der Musterklage am BGH gegen die Sparkasse in Leipzig hatten sich mehr als 1300 Betroffene angemeldet. Nach den Berechnungen der Verbraucherschützer hat ihnen die Sparkasse im Durchschnitt 3100 Euro zu wenig gezahlt.
Um festzustellen, welcher Zinssatz in der Vergangenheit korrekt gewesen wäre, soll ein offizieller Referenzzinssatz der Bundesbank herangezogen werden. Welcher genau, das soll das Oberlandesgericht Dresden anhand eines Sachverständigen-Gutachtens entscheiden. In dieser Frage wies der BGH den Fall wieder an die Vorinstanz zurück, auch wenn es in der Grundsatzfrage abschließend entschied. Der Vorsitzende Richter Jürgen Ellenberger sagte, dass die Frage, welcher Zinssatz nun genau der richtige sei, mit Hilfe eines Sachverständigen geklärt werden müsse. Auch in der Frage, wann Ansprüche möglicherweise verwirkt sind, gab es noch keine höchstrichterliche Entscheidung.
Die Verbraucherzentrale Sachsen wertete die Entscheidung als Erfolg. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Referenzzinsen der Bundesbank mache etwa 10 bis 15 Prozent aus. Welcher da am Ende ausgewählt werde, sei nicht entscheidend, meinte Michael Hummel, der Justiziar der Verbraucherzentrale.
Wichtig sei, dass das Gericht entschieden habe, dass die relativen Veränderungen des Referenzzinssatzes für die Berechnung möglicher Nachzahlungen heranzuziehen sei und nicht die absoluten, sagte Hummel. Was heißt das? Wenn ein Prämiensparvertrag vor vielen Jahren beispielsweise mit einem Anfangszinssatz von 5 Prozent abgeschlossen worden sei, als der Referenzzins bei 10 Prozent stand, und der Referenzzins später auf 5 Prozent sank, hätte eine Berücksichtigung der absoluten Veränderung die Ansprüche auf Nachzahlungen auf null gesenkt, bei einer Berücksichtigung der relativen Veränderung nur auf 2,5 Prozent. In dieser Frage habe das Gericht zugunsten der Bankkunden entschieden, hieß es bei der Verbraucherzentrale.
Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband kritisierte das Urteil: Der jetzt vorgegebene relative Abstand zu einem Referenzzins sei je nach Zinssituation für Verbraucher vorteilhaft oder auch nachteilig im Vergleich zu dem derzeit verwendeten absoluten Abstand: „Wir sehen in dem Urteil deshalb nicht unbedingt eine Entscheidung im Interesse der Verbraucher.“ Die Sparkasse in Leipzig teilte mit, das Urteil schaffe „ein Stück Rechtssicherheit“, führe allerdings noch nicht zu einer abschließenden Klärung möglicher Ansprüche von Verbrauchern und demzufolge auch nicht zu Zahlungsansprüchen im Einzelfall.
Weil das Oberlandesgericht jetzt einige Zeit brauchen werde, um wiederum seine Entscheidung zu fällen, rechnet die Verbraucherzentrale nicht damit, dass Banken und Sparkassen jetzt von sich aus Geld an die Bankkunden zurückzahlen werden. Andreas Eichhorst, Vorstandsmitglied der Verbraucherzentrale Sachsen, appellierte allerdings an alle Bankvorstände, damit jetzt zu beginnen. Ähnlich äußerte sich die Bürgerbewegung Finanzwende: „Die Zeit der Ausreden ist mit diesem Urteil endgültig vorbei.“ Die Verbraucherzentrale riet den Kunden von Banken und Sparkassen, jetzt ihre Ansprüchen geltend zu machen, auch um eine mögliche Verjährung zu vermeiden. Ihre Chancen seien gestiegen.
Die Entscheidung ist auch deshalb von Relevanz, weil derzeit bei vielen Instituten und an vielen Gerichten über die Frage gestritten wird, ob Sparkassen und Banken nachträglich Zinsen für langlaufende Sparverträge an ihre Kunden nachzahlen müssen, weil die Klauseln, mit denen die Höhe der Zinsen in der Vergangenheit angepasst wurde, zu vage und damit nicht zulässig waren. Sechs Musterfeststellungsklagen hat allein die Verbraucherzentrale Sachsen erhoben – aber auch in vielen anderen Bundesländern wurde zuletzt über das Thema gestritten.
Hintergrund ist, dass sehr viele der in den 1990er und 2000er Jahren abgeschlossenen Prämiensparverträge ähnliche Klauseln enthalten. Betroffen sind auch Volks- und Raiffeisenbanken, aber in erster Linie Sparkassen. Die Klauseln berechtigten die Kreditinstitute, einseitig weitgehend frei den Zinssatz anzupassen. Zumindest bei langjährigen Verträgen sei so etwas für die Kunden unzumutbar, hatte der BGH schon im Jahr 2004 entschieden. Die Verbraucherschützer argumentieren seit Langem, Sparer könnten Geld von den Instituten nachfordern. Insgesamt soll es um viele Millionen Euro gehen; in jedem Einzelfall unter Umständen um ein paar Tausend Euro. Das sind also noch mal ganz andere Beträge als bei den Rückzahlungen von Kontoführungsgebühren beim Girokonto, um die nach einem anderen BGH-Urteil von Ende April gerungen wird.
Bislang hätten viele Institute nur gezahlt, wenn die Betroffenen ihr Recht geltend gemacht hätten, berichtete Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. In den Streit um die Zinsanpassungsklauseln hatte sich auch die Finanzaufsicht BaFin eingeschaltet. Sie wirft den Kreditinstituten vor, die Altverträge nach 2004 stillschweigend selbst geändert und dabei BGH-Vorgaben missachtet zu haben. Die Zinsen seien auch nicht rückwirkend nachberechnet worden. Die BaFin hatte die Branche im Juni per Allgemeinverfügung verpflichtet, alle Betroffenen zu informieren und ihnen ein Angebot oder eine unwiderrufliche Zusage zur Nachzahlung zu unterbreiten. Gegen die Entscheidung hatten allerdings mehr als 1000 Institute Widerspruch eingelegt. Ein wichtiges Argument der Banken dabei war, dass die BaFin der erwarteten BGH-Entscheidung nicht vorgreifen dürfe. .
Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) hatte die Auffassung vertreten, dass „die Rechtsprechung des BGH von 2004 seitdem angemessen in den betroffenen und späteren Prämiensparverträgen umgesetzt“ wurde. Die Verbraucherzentralen dagegen meinen sogar, das Problem mit den unwirksamen Zinsanpassungsklauseln betreffe viel mehr Verträge als nur die Prämiensparverträge. Man rate Sparern deshalb, grundsätzlich bei allen langfristigen Sparverträgen mit variabler Grundverzinsung mögliche Ansprüche zu prüfen. Typen von Sparverträgen, die betroffen seien könnten, trügen beispielsweise Namen wie „Bonusplan“ oder „VR Zukunft“ bei den Volks- und Raiffeisenbanken und „Prämiensparen flexibel“, „VorsorgePlus“, „Vorsorgesparen“, „Vermögensplan“, „Vorsorgeplan“ oder „Scala“ bei den Sparkassen. Viele dieser Verträge stammen noch aus den 1990er und frühen 2000er Jahren.
In vielen der betroffenen Verträge steht laut Verbraucherzentrale die Angabe, der Zins betrage „zur Zeit“ einen bestimmten Prozentsatz, wobei dann auf den Preisaushang verwiesen werde. Formulierungen zur Zinsanpassung in den Verträgen, die angreifbar seien könnten, sind zum Beispiel: „Die Spareinlage wird variabel, zur Zeit mit . . . Prozent verzinst“ oder „Die Sparkasse zahlt neben dem jeweils gültigen Zinssatz, zur Zeit . . . Prozent, am Ende eines Kalenderjahres . . .“ oder „Die Spareinlage wird variabel, zur Zeit mit . . . Prozent verzinst.“
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Geld zurück von der Sparkasse – FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung
